
Der CSD in Berlin findet 2025 ohne das Regenbogen-Netzwerk des Bundestags statt.Bild: dpa / Anna Ross
Meinung
Wie viele andere Institutionen war auch die Bundestagsverwaltung in den vergangenen Jahren beim CSD in Berlin vertreten. Queerness zu normalisieren und zu feiern, ist immerhin auch etwas Demokratisches. Doch der neue Direktor der Bundestagsverwaltung sieht das anscheinend anders – eine Farce.
17.06.2025, 18:2317.06.2025, 18:23
"Neutralität" ist ein gefährlicher Begriff. Natürlich müssen bestimmte Institutionen versuchen, sich mit vielen Dingen nicht gemein zu machen – weil es einfach nicht ihre Aufgabe ist. Doch gleichzeitig können sich Entscheider:innen unter dem faulen Vorwand der Neutralität stets davor drücken, ihren Job zu machen.
Der Bundestag etwa ist eine der höchsten Institutionen der Demokratie in Deutschland. Sein Zweck, seine Funktion, seine Pflicht: Mit jeder Pore atmen die Mauern des Reichstagsgebäudes einzig und allein Demokratie aus und wieder ein. Neutralität ist dabei essenziell – und wird doch falsch verstanden.
Wenn etwa das Regenbogennetzwerk der Bundestagsverwaltung – eine queere Gruppe von Beamt:innen – nicht beim Christopher Street Day in Berlin mitlaufen darf, kann man das vielleicht unter dem Deckmantel der Neutralität rechtfertigen.
Dennoch ist die Entscheidung undemokratisch und somit ein Skandal – auch für Bundestagspräsidentin Julia Klöckner.
CSD-Verbot für queere Gruppe der Bundestagsverwaltung
Denn am 12. Mai hat Klöckner den Posten des Direktors der Bundestagsverwaltung mit Paul Göttke besetzt – und der hat jetzt wiederum die CSD-Teilnahme des Regenbogennetzwerkes untersagt.
Eine Sprecherin erklärte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur den Grund für Göttkes Entscheidung:
"Der Direktor beim Deutschen Bundestag hat die Entscheidung getroffen, dass die Bundestagsverwaltung als solche, insbesondere aufgrund der gebotenen Neutralitätspflicht, nicht an politischen Demonstrationen und öffentlichen Versammlungen teilnimmt."
Außerhalb des Dienstes würde es den Beschäftigten der Bundestagsverwaltung natürlich freistehen, beim CSD mitzulaufen.
Von den Veranstaltern gab es starke Kritik, ebenso von Politiker:innen von Grünen und Linken – und sogar der CDU. Der Berliner CDU-Abgeordnete Jan-Marco Luczak forderte "eine Lösung, die das jenseits der gebotenen Neutralitätspflicht ermöglicht".
Die Neutralitätspflicht hatte die Bundestagsverwaltung unter Klöckners Vorgängerin Bärbel Bas noch anders ausgelegt.
Klöckners Ablehnung des CSD ist undemokratisch und gefährlich
So ist die Bundestagsverwaltung 2023 und 2024 jeweils noch beim CSD in Berlin mitgelaufen. Bas selbst betonte im Januar, als sie die Gründung des Regenbogennetzwerkes bei Instagram verkündete, die Wichtigkeit von "Akzeptanz, Respekt und Vielfalt" und einer "offenen Gesellschaft".

Bärbel Bas (r.) gratulierte ihrer Nachfolgerin Julia Klöckner herzlich.Bild: imago images / phototek
Damit offenbarte Bas ein Verständnis, das Göttke – und wohl auch Klöckner – abgeht. Die Veranstaltung ist die zentrale Plattform, um für die Rechte und Freiheit von queeren Menschen einzutreten.
Wer den CSD als politisch nicht neutral ablehnt, verkennt, dass der Schutz von Minderheiten – auch sexuellen Minderheiten – Aufgabe der Demokratie, des Staats und somit auch des Bundestags und seiner Verwaltung ist. Wer Flagge für Queers bekennt, bekennt Flagge für die Demokratie.
Doch Göttkes und Klöckners Interpretation von Neutralität ist nicht nur fehlgeleitet. Ihre offensichtliche Abneigung gegen den CSD ist auch gefährlich.
CSD-Verbot: Klöckner muss ein Machtwort sprechen
Denn ausgerechnet die für den Schutz queeren Lebens so wichtigen CSD-Veranstaltungen werden in Deutschland zunehmend von rechtsextremen und rechtsradikalen Kräften attackiert – und bräuchten Klöckners Unterstützung.
In Bautzen haben im vergangenen Jahr hunderte Neonazis gegen den parallel stattfindenden CSD demonstriert und unter anderem Regenbogenflaggen verbrannt. Die CSD-Veranstaltungen in Gelsenkirchen und Regensburg mussten zuletzt jeweils wegen Bedrohungen abgesagt werden.
Erst am vergangenen Wochenende hat eine vermummte Schlägertruppe ein Fest für Vielfalt im brandenburgischen Bad Freienwalde angegriffen. Für den Marzahn-Pride am 21. Juni haben Rechtsextreme bereits eine Kundgebung angemeldet.
Klöckner zeigte sich bereits als Gegnerin der Veranstaltung, als sie sich im Mai dagegen entschied, die Regenbogen-Flagge während des Berliner CSD auf dem Bundestag zu hissen. Diese Haltung verwundert bei der als konservativ geltenden CDU-Politikerin kaum.
Das wirklich Ironische an der ganzen Geschichte ist: Gerade Klöckner ist als Bundestagspräsidentin aufgrund ihres Amtes zu mehr Neutralität gegenüber ihrer eigenen Haltung angehalten. In ihrem Amt ist sie vor allem der Demokratie verpflichtet.
Und sie hat auch die Verantwortung über die Bundestagsverwaltung. Klöckner ist als Bundestagspräsidentin offiziell die Dienstherrin der Beschäftigten der Behörde, welche mit etwa 3200 Mitarbeiter:innen den parlamentarischen Betrieb im Bundestag organisiert.
Klöckner muss daher ihre ablehnende Haltung gegenüber dem CSD ablegen und ein Machtwort sprechen – zur Not auch gegen ihren eigen eingesetzten Direktor Göttke und gegen ihre persönliche Haltung.
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